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Wort des Bischofs zum 1. Januar 2023

Nachfolgend das Wort unseres Bischofs Dr. Franz-Josef Overbeck
zum 1. Januar 2023 in der gekürzte Version, die nach den den Gottesdiensten am 14./15. Januar verlesen wird (die Langfassung kann darunter heruntergeladen werden).

 

Liebe Schwestern und Brüder


I.
Was lange Zeit unvorstellbar schien, ist im zurückliegenden Jahr Wirklichkeit geworden: Es herrscht Krieg zwischen zwei Staaten mitten in Europa. Russland hat die benachbarte Ukraine überfallen – seit elf Monaten erreichen uns aus den Kriegsgebieten in der Ukraine schreckliche Bilder und Berichte.


Viele von Ihnen haben von den Ängsten, Sorgen und Nöten der Menschen, die vom Krieg betroffen sind, aus erster Hand erfahren. Manche haben Verwandte, Freunde oder Bekannte in der Ukraine. Viele bieten seit Beginn des Krieges über ihre Kirchengemeinden, Caritasverbände oder auf andere Weise sehr konkrete Hilfe und Unterstützung. Es gab Hilfstransporte in das Krisengebiet und nicht zuletzt haben viele Menschen geflüchteten Kindern, Frauen und Männern eine Unterkunft bei uns angeboten.

 

All das sind starke Zeichen der Verbundenheit und des Mitgefühls. Dazu gehört auch, was uns als Gläubige besonders auszeichnet: das Gebet. Wo wir mit unseren Möglichkeiten an Grenzen stoßen und fassungslos sind angesichts des Leids anderer Menschen, rufen wir nach Gott. Wir bitten ihn um seine Hilfe und seinen Beistand für alle Menschen in und aus der Ukraine, die unter den entsetzlichen Folgen des Krieges leiden; für alle Menschen in und aus Russland, die guten Willens sind und sich für Versöhnung und Frieden einsetzen; für die Toten und Verwundeten aller Kriege sowie für ihre Angehörigen.


Ich danke Ihnen allen für Ihre Verbundenheit und Solidarität! Durch Ihre vielen klaren und starken Zeichen treten Sie gemeinsam für einen gerechten Frieden in Europa und der Welt ein. Ihr Dienst am Nächsten zeigt schon im Kleinen, dass es möglich ist, der niederträchtigen Logik des Krieges mit widerständiger Menschlichkeit zu begegnen.


Widerständige Menschlichkeit – das ist ein starker Begriff. Menschlichkeit meint Mitgefühl, Achtsamkeit füreinander, Nächstenliebe. Sie verbindet sich mit Widerständigkeit, wenn unsägliches Leid geschieht und die Menschenwürde mit Füßen getreten wird. Dann zeigt sich eine Wahrheit, die sich fast körperlich spüren lässt: Dieses Leid darf nicht sein. Dieses Leid ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Es braucht Widerstand, um gegen jene Kräfte und Mächte anzugehen, die ein solches Leid verursachen. So verbindet uns, was für unser Leben in Freiheit schlicht und ergreifend nicht verhandelbar ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Diese ersten Worte des Grundgesetzes, in denen auch der Kerngehalt des christlichen Menschenbildes zum Ausdruck kommt, sind das Fundament unserer Gesellschaft. Ich appelliere an uns alle, weiter gemeinsam dafür einzutreten, dass nicht die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer siegt. Lassen Sie uns „Ja“ sagen zu einer Menschlichkeit, die dem Recht des Stärkeren widersteht, lassen Sie uns „Ja“ sagen zu widerständiger Menschlichkeit und zur Stärke des Rechts.


II.
Wir sehen derzeit eine stabile europäische Friedensordnung in Trümmern vor uns liegen. Diese Trümmer fordern uns heraus. Das ist auch in vielen Bereichen des täglichen Lebens deutlich zu spüren. Stark steigende Preise für Lebensmittel und Energie, eine drohende schwere Rezession sowie die Angst vor einer weiteren Eskalation des Krieges führen dazu, dass der Ausblick auf die kommenden Monate für viele Menschen mit sehr ernsten Sorgen verbunden ist.


Für einen großen Teil der Familien in unserem Bistum und weit darüber hinaus sind bereits die gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen so enorm, dass häufig die Grenzen der Belastbarkeit überschritten sind. Viele Menschen plagen akute Existenzängste. Sie warten nicht auf belehrende Ratschläge von anderen, schon gar nicht von Verantwortungsträgern, die selbst nicht annähernd in vergleichbarer Not sind.


Ich selbst gebe zu, auch keinen einfachen Rat zu wissen angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen wir derzeit stehen. Vielleicht aber ist es schon viel, wenn wir einander ehrlich eingestehen, wie schwierig die Lage ist. In dieser Zeit sind wir auf Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung angewiesen. Denn in den kommenden Monaten und Jahren werden mit hoher Wahrscheinlichkeit noch größere Belastungen auf uns zukommen. Wir können sie nur gerecht und solidarisch schultern. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Dabei sollten wir uns nichts vormachen: Es ist das gefährliche Kalkül von Autokraten wie Wladimir Putin, dass wir in schweren Zeiten nicht bereit sind, für unsere Werte einzutreten und sie uns etwas kosten zu lassen – im wahrsten Sinne des Wortes.


Als Christinnen und Christen müssen wir öffentlich, laut und deutlich für eine robuste Demokratie eintreten, indem wir die Rechte und Werte verteidigen, die unsere Gesellschaft stark machen. Demokratie ist keine „Diktatur der Mehrheit“, sondern steht für Freiheit, für den Schutz der Menschenrechte, für die Sicherheit eines Rechtsstaates. Das darf uns nicht gleichgültig sein.


Denn ohne gelebte Demokratie gibt es keinen Sozialstaat, der Belastungen gerecht und solidarisch auf schwache wie auf starke Schultern verteilt. Stark ist ein Sozialstaat dann, wenn er auf starken Rückhalt und Zusammenhalt in der Bevölkerung zählen kann. Nur so können große Krisen bewältigt werden. Das wissen die Feinde der Demokratie. Deshalb setzen sie alles daran, diesen Zusammenhalt zu zersetzen und Vertrauen zu zerstören. Ohne Vertrauen aber gibt es keine lebendige Demokratie. Für uns Christen steht Vertrauen im Zentrum unseres Glaubens. Wir vertrauen auf den liebenden und lebendigen Gott.


III.
Weiterhin beschäftigt uns die Krise, die durch die abscheulichen Missbrauchstaten in unserer Kirche offenbar geworden ist. Denn angesichts des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen und Schutzbefohlenen durch Priester, Diakone und Ordensleute ist der Verlust an Vertrauen in die Kirche enorm. Die Verbrechen haben zu tun mit grundsätzlichen Missständen in der katholischen Kirche. Es wundert mich deshalb nicht, dass Zorn und Wut bei vielen Menschen so groß sind.


Eine eigene Studie zum sexuellen Missbrauch in der Geschichte des Ruhrbistums wird im Februar 2023 veröffentlicht. Sie wird vermutlich noch einmal in aller Deutlichkeit und Schärfe aufzeigen, welchen Entwicklungs- und Veränderungsbedarf es in unserem Bistum gibt. Sie wird wahrscheinlich auch zeigen, dass es bei uns ähnlich war wie anderswo: Unter dem Deckmantel von Religion und Glaube sind Verbrechen begangen worden. Niemand interessierte sich ernsthaft für die Betroffenen der sexualisierten Gewalt – alles drehte sich um den Schutz der Kirche und der Kleriker. Ich habe mir bis zum Jahr 2010 nicht wirklich vorstellen können, was in welchem Ausmaß alles an Grauenhaftem geschehen ist. Das beschämt mich zutiefst. Ich frage mich, warum ich – und viele andere – nicht früher wahrgenommen habe, was unter der Oberfläche des kirchlichen Lebens an Unheil geschah. Vor allem die Begegnungen mit den Betroffenen sexueller Gewalt haben mir die Augen geöffnet. All dem können wir nur durch eine echte Erneuerung begegnen.

Dafür hat bereits das Zweite Vatikanische Konzil neue Wege gewiesen, die dieser Erneuerung der Kirche dienen. Der Synodale Weg der Kirche in Deutschland hat dies aufgegriffen und orientiert sich in den Spuren des Konzils an der Heiligen Schrift und an der Tradition, setzt aber auch auf den Glaubenssinn des Volkes Gottes und auf die „Zeichen der Zeit“. Es geht zudem um lernbereiten Dialog mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen und kulturellen Entwicklungen der Gegenwart. Auch so verstehen wir besser und tiefer, wie Gott heute wirkt. Denn dem hat die Kirche zu dienen, nicht als eine lebensferne Institution, sondern als Ort und Zeichen für ihre Sorge um die Menschen.


Ich mache mich stark für eine Kirche, die sich erneuert. Ich mache mich stark für eine Kirche, in der jeder Mensch spürt, von Gott geliebt und gewürdigt zu sein – und in der er ein erfülltes Leben in Freiheit führen kann. Ich mache mich stark für eine Kirche, die widerständig menschlich ist.


Dafür braucht es neben aller persönlichen Entschiedenheit vor allem das Vertrauen in den Heiligen Geist, mit dem Gott uns alle auf unseren Wegen stärkt. Seine Gaben und sein gutes Geleit erbitte ich Ihnen, Ihren Familien und allen Menschen, mit denen Sie leben.
Mit herzlichen Grüßen und allen Segenswünschen
Ihr

+ Dr. Franz-Josef Overbeck
Bischof von Essen


Bischofswort zum 1. Januar 2021 zum Herunterladen (Langfassung)

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Wort von Bischof Dr. Franz Josef Overbeck zum 1. Januar 2023
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