Aus dem Evangelium nach Johannes (Joh 15,1-8)
1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. 2 Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt. 3 Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe. 4 Bleibt in mir und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen. 6 Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen und er verdorrt. Man sammelt die Reben, wirft sie ins Feuer und sie verbrennen. 7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten. 8 Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet.
Die Tinte der Unterschrift des Bundespräsidenten Walter Steinmeier unter das neue Bundesinfektionsschutzgesetz war noch nicht ganz trocken, da lagen bereits 65 Beschwerden beim Verfassungsgericht vor. In diesem Gesetz werden ab einer bestimmten Inzidenzzahl nächtliche Ausgehverbote, Kontaktbeschränkungen, eingeschränkter Betrieb von Schulen und Kindertageseinrichtungen, vom Sport bis zum Einkauf und anderes mehr geregelt. Diese Regelungen bedeuten tiefe Eingriffe in die bürgerlichen Grundrechte. Dagegen wächst mehr und mehr Widerstand. Ein wichtiges Argument lautet, dass diese Einschränkungen immer nur so lange dauern dürfen, wie der Grund vorhanden ist. Nun sind aber viele Menschen schon geimpft, andere haben eine Infektion bereits überstanden und können wie die Geimpften andere nicht mehr anstecken. Müssten die nicht ihre Rechte weiterleben dürfen?
Ffp2, Grundgesetz, Grundrechte CoronaDie Bundesjustizministerin Christine Lambrecht fordert deshalb: „Wenn aber jetzt belegt ist, dass von vollständig Geimpften und Genesenen keine besondere Gefahr mehr ausgeht, dann müssen wir die Einschränkungen ihrer Grundrechte zurücknehmen.“ (SZ 29.04.2021) Aber würde das nicht am Ende zu einer „Zweiklassengesellschaft“ führen? Auf der eine Seite die „Freien“, weil schon geimpft und auf der anderen Seite die, die noch in ihren Grundrechten eingeschränkt sind, weil nicht geimpft. Der Theologe Reimer Gronemeyer brachte es in einem Interview mit dem Deutschlandradio so auf den Punkt: „Jetzt mit Blick auf die Pandemie haben wir diese schräge, absurde Situation ,… … dass die Alten die sind, die zuerst geimpft worden sind, die jetzt eigentlich zuerst in die Disco dürften, und dass die Jungen sich da an der Scheibe dann die Nase platt drücken.“ Schöne neu Welt. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Sabine Dittmar (Man darf hier ruhig einen Augenblick im Staunen verharren und sich verwundert fragen: „Ist das nicht Karl Lauterbach?“ Nein, er ist es nicht!) Also Frau Dittmar fordert deshalb die Menschen zur Solidarität auf und in diesem Sinne das genannte Gesetz mitzutragen. (WDR 5 Morgenecho, 28.04.2021)
Grundrechte sind Grundrechte. Sie dürfen mir nicht einfach vorenthalten werden. Ich kann sie einklagen. Ein Staat kann mit seinem Parlament zwar Gesetze erlassen, aber er kann mir nicht vorschreiben, solidarisch zu sein. Ob ich solidarisch bin oder nicht, das hängt allein von mir ab und von den Werten, denen ich mich verpflichtet fühle. Da kann es dann sein, dass ich zwischen meinem Recht und meinem ethischen Anspruch einen inneren Konflikt auszutragen habe.
Mein ethischer Anspruch hängt leuchtend rot und süß am Weinstock. Das Bild vom Weinstock greift Jesus auf, als er zum letzten Mal mit seinen Jüngerinnen und Jüngern im Abendmahlssaal zusammen war. Über die Gemeinschaft hat sich der Schatten des Abschieds gelegt. In dieser Stunde hat Jesus ihnen noch so viel zu sagen. Er spricht über die Demut und die Liebe, den Weg zum Vater und vor allem, wie der Weg der Jüngerinnen und Jünger weiter gehen soll. Was wird aus Eurer Gemeinschaft, wenn ich nicht mehr unter Euch sein werde?
„Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer.“ (Joh 15,1) Der Weinstock ist ein vertrautes Bild, nicht nur aus der Landschaft, in der sie leben. Im Alten Testament ist der Weinstock immer wieder ein Bild für das Volk Israel und Gottes Sorge für die Menschen. „Israel war ein üppiger Weinstock, der seine Frucht trägt“ (Hos 10,1) Oft haben die Propheten auch einen kritischen Blick auf den geringen Ertrag, den er hervorbringt. Gott hat seine Liebe und Sorge in die Erde eingepflanzt. Ein kostbares Gewächs, das er wie der gute Winzer mit viel Mühe und Sorgfalt veredelt. Diese Liebe und Sorge konzentrierten sich nun in Jesus aus Nazareth. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“ (Joh 15,5) Jesus macht die Zusage, dass die Verbundenheit mit ihm bleiben wird. Was Gott eingepflanzt hat, das wird bleiben und Frucht bringen.
Textfeld: Bild: Andreas Kröner In: Pfarrbriefservice.de „Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe.“ (Joh 15,4) Die Jüngerinnen und Jünger werden sich an das erinnern, was sie gehört und mehr noch, was sie erlebt haben. Jesu Worte waren immer gelebte Worte. Er sprach davon, dass er das Brot des Lebens sei (Joh 6,35) und hat mit 5 Broten und 2 Fischen 5000 tausend Menschen zu essen gegeben. Sie erinnern sich, wie er in der Nacht und im Sturm auf dem See zu ihnen kam. Wie er ihnen die Todesangst nahm und sagte: „Fürchtet euch nicht!“ (Joh 6,20) Kranke hat er geheilt und widersprach dem Glauben, dass Krankheit eine Folge von Schuld sei (Joh 9,3). Am Totenbett seines Freundes Lazarus hat er geweint (Joh 11,35). Zu Martha, der Schwester des Lazarus, sagte er: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ (Joh 11,25) Und holte den Toten wieder zurück. Sie haben ein lebendiges Wort gehört. Dieses Wort hat etwas mit ihnen gemacht. Jesus sagt: „Ihr seid schon rein durch das Wort!“ D. h. Ihr seid schon befreit von einer alten Last. Befreit von Angst und Schuld haben sie einen Blick dafür bekommen, dass die Welt eine andere sein kann. Jesus nennt diese Welt „das Reich Gottes“.
„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“ (Joh 15, 5) Jesus legt ihnen kein weiteres Gebot auf. Vielmehr sollen sie sich halten lassen (Bultmann) und Halt finden in der Gemeinschaft mit ihm und untereinander. Dieser Halt, diese Verbundenheit ist die Lebensader des Guten, das gleichsam wie von selbst geschieht. Solidarität, Coronavirus, Sars-Cov-2Beim Propheten Jesaja lesen wir über das Wort Gottes: „Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, ohne die Erde zu tränken und sie zum Keimen und Sprossen zu bringen, dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen, 11 so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, ohne zu bewirken, was ich will, und das zu erreichen, wozu ich es ausgesandt habe.“ (Jes 55, 10.11)
Jesus hebt den Blick über den Abendmahlssaal hinaus: Wie wird es mit euch weitergehen? Seine Antwort: Was ich unter Euch gesagt, gelebt und geliebt habe, das wird bleiben. Daran könnt ihr Euch halten und euch festhalten. Von der letzten Zusammenkunft mit den Jüngern blickt Jesus auf das Leben der Gemeinschaft und der Gemeinden durch alle Zeiten und auf das Leben eines jeden Jüngers und jeder Jüngerin, die mit Jesus verbunden bleiben. Aus dieser Verbundenheit wird das Gute wachsen.
Ein Blick in unsere Zeit, in die Zeit der Pandemie. Woran halte ich mich, woran möchte ich mich halten? Jesus bietet mir sein Wort und seine Verbundenheit an. Das schenkt mir nicht nur einen Blick auf mich und meine Rechte. Verbunden mit Jesus weitet sich der Blick auf die Hungernden, die Kranken oder die Trauernden.
Was wäre eine Gesellschaft ohne Solidarität und ohne den Blick auf den anderen? Was wären wir ohne das geteilte Brot, ohne die gemeinsame Freude oder die gemeinsame Trauer? Meine Freiheit ist eine Möglichkeit für diese Welt. Wenn ich keine Gefahr mehr bin, kann ich andere besuchen, vielleicht eine Familie in der Nachbarschaft unterstützen… … …
Kein Gesetz kann mir vorschreiben, auf meine Rechte zu verzichten und solidarisch zu sein. Mit Jesus weitet sich mein Blick und ich kann meine Freiheit als Möglichkeit für eine andere Welt sehen.
Nährstoffe
Weinberge,
weitverbreitet
im alten Israel.
Gefährdung und Gedeihen
der Reben waren
alltägliche Erfahrung.
So, wie der Weinstock
die einzelnen Reben
mit Wasser und Nährstoffen versorgt,
so, wie sie notwendig
mit dem Weinstock
verbunden bleiben,
so ist es auch mit uns.
Die innere Verbindung mit Christus
ist notwendig,
um genährt zu werden,
um überleben und leben zu können,
um wahrhaftig zu leben
und Frucht zu bringen
als Christin, als Christ:
„ich in euch“ und „ihr in mir“.
Dorothee Sandherr-Klemp (zu Joh 15,1-8)
aus: Magnificat. Das Stundenbuch 05/2021, Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer; www.magnificat.de. In: Pfarrbriefservice.de
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